Über Hermann von Salza kennt man hauptsächlich seine Leistungen für den Deutschen Orden und die Berater-und Vermittlertätigkeit für Kaiser Friedrich II. Dass er bereits vor seiner Wahl zum Hochmeister durch Deutschland gereist ist, ist kaum bekannt. Ich war deshalb sehr erstaunt, als ich auf eine schlesische Sage aufmerksam gemacht wurde, in der unser Hochmeister vorkommt. Diese Sage bestätigt mir den Stammbaum der Familie von Salza in der Chronik von G. u. H. Schütz. Darin wird der Bruder Hermanns, Günther I. von Salza, als der Stammvater der Oberlausitzer Linie bezeichnet und die Oberlausitz gehörte zu Lebzeiten Hermanns zu Schlesien. In meinem Artikel VII/06 "Hermann von Salzas Verwandtschaft" habe ich auf diese Verbindung nach Schlesien hingewiesen.
In dem 1982 erschienenen Buch "Alt-Breslau in Sage und Bild" von Dieter Lienhard Döring aus dem Gerhard Rautenberg Verlag findet sich diese interessante kleine Erzählung:
41.DIE "EISERNE JUNGFRAU" IN DER KAISERBURG ZU BRESLAU
An der Stelle, wo heutigentags die Breslauer Universität steht, befand sich vor einigen Jahrhunderten die alte kaiserliche Burg. Seit alten Zeiten, so wird erzählt, habe sich in einem ans Verließ angrenzenden Kellergewölbe die Folterkammer mit einer sogenannten "Eisernen Jungfrau" befunden. Dieses Folterwerkzeug gleicht einer über-mannsgroßen Ritterrüstung, die innen mit dolchartigen, langen Stacheln versehen, einen darin Eingeschlossenen einen qualvollen Tod erleiden ließ. Die Breslauer sahen in ihr ein Geisterwerk, das mit der Verwünschung ihres Erbauers dazu ausersehen war, in die Burgkeller Gelockte den Armen der Verderberin zuzuführen, und so lange sollte der dunkle Zauber des Unheils walten, bis der Verdammte durch eine unbekannte Bedingung erlöst worden sei. In den Nachtstunden dringe oft ein dumpfes Rumpeln und Knirschen wie von Mühlrädern herauf. Deswegen auch habe man ängstlich den verlassenen Seitenflügel der Burg gemieden, in dem die Geister unglücklicher Opfer spukten. In einer erweiterten Abwandlung lautet die Sage so:
Während eines Besuches zu Gast in der Breslauer Burg, verirrte sich der junge Ritter Hermann von Salza, der später als Hochmeister des Deutschen Ritterordens Berühmtheit erlangte, in den Kellergewölben der Feste. Eben schlug es Mitternacht, da drang das berüchtigte Rumpeln und Rattern laut und nah an sein Ohr. Und während er noch nach dem Ausgang spähte, flatterten zwei blutüberströmte Gestalten an ihm vorbei, eine Frauengestalt und ein Ritter, wie ihm schien. Der junge Degen ermannte sich und eilte hinterdrein. Sich ihnen nähernd, erkannte der Ordensmann, im Gegenüber die Erscheinung zur Ruhelosigkeit Verdammter. Auf seine Frage: "Kann ich Euch erlösen?" erkannte er aus Blick und Geste, man erwarte nur, er möge den vor ihm Stehenden folgen. So war er eben ins Gemach der "Eisernen Jungfrau" gelangt, als sich das fürchterliche Räderwerk wieder rasselnd in Gang setzte. "Im Namen des Kreuzes, im Namen des Retters! Hier, sucht Entsagung, so seid Ihr erlöst!" So rufend schlug Hermann das Kreuz. Und während ihm eine Schriftrolle entgegengereicht wurde, geschah ein so gewaltiges Dröhnen, daß die Mauern wankten und das Gebäude zusammenzustürzen schien. Hermann aber verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, war es heller Tag. Er befand sich in seinem Gemache. Schon war er überzeugt, aus schwerem Traume erwacht zu sein, als er die Schriftrolle zu seinen Füßen fand und als die ihm nachts überreichte erkannte. Und erstaunend las er: "Dank Dir, den der Himmel sandte, Erlösung zu künden!"
Wenn diese Sage einen Kern von Wahrheit hat, kann die Reise Hermanns wohl nur in den neunziger Jahren des 12. Jahrhunderts stattgefunden haben. Damals herrschte in Schlesien Herzog Boleslaus I., auch "der Lange" genannt. Boleslaus wurde 1127 geboren. Sein Vater war Herzog Wladislaus I. von Krakau-Schlesien aus dem polnischen Herrschergeschlecht der Piasten. Seine Mutter Agnes war die Tochter des Markgrafen Leopold II. von Österreich und Halbschwester des römisch-deutschen Königs Konrad III. Im Jahre 1146 musste Wladislaus mit seiner Familie nach Deutschland fliehen. Er unterlag im Streit um die Vorherrschaft in Polen seinem Bruder Boleslaw IV. von Masowien. Sein Schwager Konrad III. wies der Familie das thüringische Altenburg als Aufenthaltsort zu. Der damals neunzehnjährige Boleslaus hatte in dieser Zeit gute Kontakte zum Landgraf Ludwig II. und anderen thüringischen Adligen. Er hatte auch Verbindung zum Kloster Pforta, dessen Zisterziensermönche ihn 1175 beim Aufbau des Klosters Leubus bei Breslau unterstützten. In diesem ostthüringischen Gebiet war in dieser Zeit ein Heidenreich von Salza landgräflicher Ministerial, der 1157 in einer Urkunde zum Kloster Pforta erwähnt wird. Dieser Heidenreich von Salza könnte ein Bruder Burchard von Salzas gewesen sein, dem Vater unseres Hermanns. Leider konnte ich diese Zusammenhänge noch nicht ausreichend klären. Zum Verstehen der frühen Geschichte unseres Ortes wäre eine Aufklärung darüber aber durchaus wichtig.
Wenn man spätere Ereignisse um Hermann von Salza beleuchtet, kann man durchaus Zusammenhänge zum Aufenthalt der schlesischen Herzöge in Altenburg und Ostthüringen erkennen. Selbst die Bitte des Konrad von Masowien im Jahre 1225 um Hilfe und Unterstützung wird wohl mit auf die thüringisch-schlesischen Verbindungen der damaligen Zeit zurückzuführen sein. Und so dürfte diese Sage ein kleiner Baustein im großen Puzzle zum Leben Hermann von Salzas sein.
Dieter Deubner
Bad Langensalza 1. April 2009